Victor Hugo: Lettre XIV - Le Rhin

 

Bei Homer kommt der Rhein nicht vor. Es war einer dieser möglichen, aber unbekoannten Flüsse in diesem dunklen Land der Zimbern in denen es ohne Unterlaß regnet die die niemals die Sonne sehen. Für Virgil war es kein unbekannter, aber ein vereister Fluß, Frigora Rheni. Für Shakespeare ist es der "beautiful Rhine". Für uns Franzosen, bis zu dem Zeitpunkt wo der Rhein ein europäischer Fluß sein wird, ist es ein pittoresker Modeausflug der Müßiggänger von Bad Ems, von Baden und von Spa.

Ihr wißt, ich habe es oft gesagt, daß ich Flüße liebe. Flüsse tragen Ideen genauso wie Güter. Alles in der Schöpfung hat seine großartige Rolle. Wie gigantische Rufer verkünden die Flüsse die Schönheit der Erde, der Bebauung der Felder, den Glanz der Städte und den Ruhm der Menschen.

Der Rhein, mein Freund, ist ein edler Fluß, herrschaftlich, republikanisch, reichsbildend, würdig zugleich französisch und deutsch zu sein. Dei ganze Geschichte Europas ist in seinen zwei Erscheinungsformen vertreten, in diesem Fluß der Krieger und Denker, in diesen prachtvollen Wellen die in Frankreich aufprallen, in diesem tiefen Murmeln welches Deutschland träumen läßt.

 
Mäuseturm
Mäuseturm ist ein praktisches Wort. Man sieht darin was man sehen möchte. Es gibt Wesen die sich für Realisten halten und die nur trocken sind, sie verjagen jede Poesie aus allem und die sind wie jener Realist der zur Nachtigal sagte "Schweig, dummes Wesen". Solche Leute behaupten daß Mäuseturm vom Wort "Maut", also Zoll, käme. Sie erklären, daß man im 10. Jahrhundert, bevor der Fluß verbreitert wurde, man den Rhein nur auf der linken Seite befahren konnte und das die Stadt Bingen den Booten einen Rheinzoll auferlegte. Sie stützen sich auf die Tatsache daß es bei Straßburg zwei ähnliche Türme gibt die auch Zoll erheben und Mäusetürme heißen. Für diese großen Denker denen die Sagen fern stehen ist der Turm eine Belastung und Hatto ein Zöllner. Mäuseturm bei Bingen
 
Raubritter
Der Geist der Zeit und die Natur ließen am Rhein eine ganz besondere Rasse von Herren entstehen. Zwischen dem Bodensee und dem Siebengebirge hat jede Biegung des Rheines seine eigene Burg mit seinem eigenen Burgherren. Diese stolzen Herrn vom Rhein, robuste Produkte einer herben und wilden Natur, eingenistet in den Basalten und Büschen, in ihren mit Zinnen bewehrten Festen und bedient von Ihren Getreuen wie ein Kaiser, Räuber wie Adler und Uhu, allmächtig in ihrer Umgebung, Herrscher über Feld und Flur. Sie hoben Soldaten aus, kontrollierten die Straßen, verlangten Zölle, erpressten die Kaufleute von Sankt Gallen bis Düsseldorf, sperrten den Rhein mit ihren Ketten…

Der Burgherr war nicht für den einen oder den anderen Landesherren, er war nur für sich. Es dauerte bis zu Kaiser Maximilian als der Großkapitän des heiligen Römischen Reiches die letzte der Raubritterburgen zerstörte und eine Periode beendete, die mit heldenhaften Rittern im 10. Jahrhundert begann und mit den Raubrittern des 16. Jahrhunderts endete.

 
Bacherach
Ich verbrachte drei Tage in Bacherach, eine Art verwunschener Hof, vergessen am Ufer des Rheines sowohl vom Geschmack Voltaires, als durch die französische Revolution, die Schlachten Ludwig XIV, durch die Beschießungen von 1797 und 1805, von den eleganten Architekten und den Weisen die Häuser bauen wie Kommoden und Schreibtische. Bacharach ist wohl das antikeste Stück Besiedlung daß ich je gesehen habe. … Bacharach ist in einer wilden Landschaft. Fast immer hängen Wolken an seinen hohen Ruinen fest, abrupte Felsen und wilde Gewässer schließen diese alte strenge Stadt ein, die römisch war, die romanisch war, die gotisch war und die nicht modern werden möchte. Bemerkenswert, ein Gürtel aus Klippen umgibt sie und hindert die Dampfschiffe am landen und hält die Zivilisation auf Distanz.

In Bacharach legt man sich um Mitternacht schlafen, man schließt die Augen, man läßt die Gedanken schweifen die man den ganzen Tag gehabt hat es kommt der Halbschlaf .. Da zerreißt ein Lärm den Schatten und kommt zu einem, ein einzigartiger, unbeschreibbarer, schrecklicher Lärm, eine Art wilden Brüllen, bedrohend und klagend der sich in den Nachtwind einmischt und der vom oberen Friedhof zu kommen scheint wo sie am Morgen noch die elf steinernen Wasserspeier der Wernerkapelle gesehen haben mit den offenen Mündern, als ob sie schreien wollten. Sie wachen plötzlich auf, sie setzen sich auf, sie lauschen. Was ist das? Es ist der Nachtwächter der in sein Horn bläst und der dem ganzen Ort verkündet das alles in Ordnung ist und daß man ruhig schlafen kann.

Mag ja sein, aber ich glaube nicht daß man die Leute auf eine schrecklichere Art beruhigen kann.

 
St. Goar
In St. Goar ist der Rhein kein Fluß mehr, es ist ein See, ein richtiger Bergsee mit allen Teilen, mit seinem finsteren Felsen, seinen tiefen Spiegeln und seinen immensen Geräuschen. .. Man hat den ganzen Tag das Schauspiel des Rheines, die Flöße, die langen Segelschiffe, die kleinen Kähne und die acht bis zehn Dampfer die kommen und gehen, hinauf- und hinabfahren und die jedes Mal platschen wie ein großer schwimmender Hund, dampfend und beflaggt. Weiter weg auf dem anderen Ufer unter den schattenspendenden Nußbäumen sieht man die Manöver der Soldaten des Herren von Nassau in den grünen Westen und weißen Hosen, man hört die Trommeln eines kleinen Souveräns. Ganz nahe, unter seinen Fenstern, sieht man die Frauen von St. Goar in ihren himmelblauen Hauben vorbeigehen, Hauben wie eine Tiara die durch einen Faustschlag verformt wurde, und man hört das Lachen und Geschwätz der der Kinder die mit dem Rhein spielen.
 
Die Bank
In der Höhe der Burg Katz ist ein gefährliche Strudel genannt "die Bank". Es ist eine gefährliche Durchfahrt zwischen der Bank und dem Turm von St. Goarshausen. Man findet alles am Rhein, sogar Scylla und Charybdis. Um hier durchzufahren binden die Flößer auf der linken Seite ein Seil an, an dessen einde ein Baumstamm befestigt ist, der so genannte Hund. Wenn sie zwischen dem Turm und der Bank hindurchfahren, werfen sie den Hund in den Strudel, der diesen kräftig anzieht und so das Floß vom Turm fernhält. Wenn die Passage vorbei ist wird das Seil durchgeschnitten und der Strudel verschlingt den Hund. Das ist der Kuchen für den Zerberus.

St. Goarshausen - Burg Katz

Verbrechen in der Burg Katz
Johann von Barnich, Kaplan von Sankt Goar, vergiftet mit Meßwein seine Geliebte, die Gräfin von Katzenellenbogen. Er wird exkommuniziert und bei lebendigem Leib verbrannt.
 
Die Burg Maus
Die Burg Katz ist benannt nach den Grafen von Katzenellenbogen. Die Grafen quälten sehr die Bewohner von Wellmich. Als der Ort an Kuno von Falkenstein fiel, lies dieser eine Burg setzen die viel größer war als die Burg Katz, und er nannte sie Burg Maus. Er sagte "Und jetzt wird die Katz von der Maus gefressen".
 
Die silberne Glocke
Der Herr von Wellmich, ein Ritter Falkenstein, warf in sein Verließ ohne Unterschied wen er wollte, ob vorbeireisender oder einen seiner Untertanen. Ihre unerlösten Seelen wohnen jetzt in der Burg. Zu dieser Zeit gab es im Turm von Wellmich eine silberne Glocke, die vom Mainzer Bischuf Winfried im Jahre 740 gestiftet und gesegnet worden war. Diese Glucke wurde nur für das 40 Stunden-Gebet geläutet oder wenn der Herr von Wellmich krank war und im Sterben lag. Aber der Falkenstein glaubte nicht an Gott, er glaubte auch nicht an den Teufel, und als er Geld brauchte dachte er an die schöne Glocke. Er ließ sie vom Turm abreißen und in sein Verließ bringen. Der Prior von Wellmich war empört und stieg zu dem Herren hinauf, in Meßgewand und Stola, zusammen mit den Ministranten die das Kreuz trugen, um seine Glocke wiederzubekommen. Falkenstein lachte und sagte: Du willst deine Glocke? Hier hast du sie und du wirst sie nie wieder los. Und er warf den Priester in das Verließ mit der Glocke um den Hals, und das Verließ würde mit schweren Steinen zugeschüttet, sechzig Ellen hoch.

Doch es begab sich das einige Tage später der Falkenstein plötzlich krank wurde. Und als die Nacht fiel und der Astrologe und er der Arzt bei dem Herren wachten hörten sie auf einmal den Klang der silbernen Glocke aus der Tiefe aufsteigen. Am Morgen war der Falkenstein tot. Und seitdem hört man jedes Jahr an diesem Tag, dem 18. Januar, die silberne Glocke aus den Tiefen des Felsens läuten.

 
Feldfrevel in Nassau
In Wellmich gelten die Gesetze des Herrn von Nassau, und die sind bei Feldfrevel sehr drastisch. So muß jeder Frevler eine Strafe zahlen in der gesamten Höhe aller früheren Schäden, für die kein Täter gefunden wurde. Vor kurzem wurde ein englischer Tourist, der eine Pflaume unerlaubterweise geerntet hatte, zu 50 Gulden Strafe verurteilt.
 
Der Rhein
Und jetzt, um mit einer letzten Bemerkung zu schließen, scheint der Rhein auch ein symbolischer Fluß zu sein. Mit seinem Gefälle, mit seinem Verlauf, mit den Landschaften durch die er fließt ist er ein Bild der Zivilisation, der er schon so sehr gedient hat und noch weiter dienen wird. Er steigt von Konstanz bis nach Rotterdam hinab, vom Land der Adler zu der Stadt der Heringe, von der Stadt der Konzile, Päpste und Kaiser zu den Marktständen der Händler und Bürger, von den Alpen zum Meer, so wie die Menschheit selber von den großen unverrückbaren, unerreichbaren ernsten und strahlenden Ideen zu den Ideen hinuntersteigt, die weit, beweglich, bewegt, dunkel, nützlich, benutzbar, gefährlich und unergründlich sind, die sich um alles kümmern, die alles tragen, die alles befruchten, die alles einschließen, von der Theokratie bis zur Diplomatie, von einer großen Sache zu einer anderen.

 

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