Reisen an den Ufern des Rheins: Der Rhein (Alexander Dumas)

 

Für uns Franzosen ist es schwierig zu verstehen, welch tiefe Achtung die Deutschen für den Rhein haben. Er ist eine Art Schutzgott, in dessen Gewässern sich außer Karpfen und Lachs eine Unmenge von Nixen und Nymphen, guten und bösen Geistern tummeln, die die poetische Vorstellung seiner Bewohner einerseits am Tage, verschleiert von seinen blauen Gewässern, andererseits in der Nacht an seinen Ufern irrend sieht.
Für sie ist der Rhein ein universelles Wahrzeichen; der Rhein steht für die Kraft, die Unabhängigkeit, die Freiheit. Der Rhein ist leidenschaftlich wie ein Mensch oder vielmehr wie ein Gott. Der Rhein liebt und hasst, streichelt und zerstört, beschützt und verwünscht. Für den einen sind seine Wasser ein weiches Bett aus Algen und Seerosen, wo ihn der alte Flußvater, rosenbekränzt und sein Wachthorn umgekehrt wie ein heidnischer Gott, erwartet um ihn zu huldigen. Für den anderen ist er ein Abgrund ohne Boden, von häßlichen Ungeheuern bevölkert und dem Schlund gleich, der Schillers Fischer verschlingt. Für diesen sind seine Wässer ein glatter Spiegel, auf denen man wie Christus wandeln kann, wenn man nur einen stärkeren Glauben als Petrus hat, für jenen ist sein Verlauf ein tosend und zornig wie das rote Meer welches den Pharao verschlingt. Aber, wie er auch immer gesehen wird, er ist ein Gegenstand der Furcht oder der Hoffnung, ein Symbol der Liebe oder des Hasses, Prinzip von Leben und Tod. Und für alle ist er eine Quelle der Poesie.

Der Rhein bei Kaub

Zwischen Koblenz und Mainz sind die meisten Überlieferungen zu finden, denn in der Gegend zwischen diesen beiden Städten kennt der Rhein seine größten Gegensätze, seine lieblichsten und schrecklichsten Ausblicke. Hier ist er einmal Sieger seiner Hügel, die sich in gebührlichem Abstand von ihm halten und er erstreckt sich faul und unbekümmert wie ein See; doch hier ist er auch besiegt, eingezwängt, in den Ketten seiner Gebirge gefesselt von Granitpanzern gegen die seine Wellen unnütz ankämpfen: Er windet sich, er wälzt sich, zieht sich zurück wie eine kämpfende Schlange, und in seiner anerkannten Ohnmacht beeilt er sich zu fliehen, drohend in seiner Flucht. Da versteht man die Fischer, denen er, je nachdem an welcher Stelle sie wohnen die Boote streichelt oder zerbricht, ihn als einen Schutzgott oder einen bösen Geist betrachten und ihm wie einem Vater danken oder ihn wie einen Feind anflehen.

 

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