Geschichten zum Rhein:

Der Rhein, die Völkermühle

aus "Des Teufels General" von Carl Zuckmayer

 

Carl Zuckmayer, in Nackenheim bei Mainz geboren, war mit Ernst Udet, einem Fliegeras, befreundet. 1941 verunglückte der zum Idol aufgestiegene Udet unter mysteriösen Umständen. In seinem weltbekannten Theaterstück "Des Teufels General" verewigt Zuckmayer den zum Luftwaffengeneral aufgestiegenen Udet, der mit seiner "großen Schnauze" an dem NS-Regime aneckte.

General Harras ist zu nächtlicher Stunde mit dem Fliegerleutnant Hartmann zusammen. Manches Glas war gelehrt worden. Sie wissen nicht, daß ihr Gespräch abgehört wird. Hartmann hat Liebeskummer, Fräulein von Mohrungen hat die Verlobung mit ihm gelöst.

Harras: So, Hm. Warum denn?

Hartmann, stockend, aber immer im Ton eines militärischen Rapports: Wegen einer Unklarheit in meinem Stammbaum, Herr General. Meine Familie kommt nämlich vom Rhein. Mein Vater und Großvater waren Linienoffiziere - es besteht kein Verdacht einer jüdischen Blutmischung. Aber - eine meiner Urgroßmütter scheint vom Ausland gekommen zu sein. Man hat das öfters in rheinischen Familien. Sie ist unbestimmbar. Die Papiere sind einfach nicht aufzufinden.

Harras hat sich auf die Lippen gebissen, brummt vor sich hin. So so. Daran liegt's. Da läuft so ein armer Junge mit einer unbestimmbaren Urgroßmutter herum. In aufsteigender Wut Na, und was wissen Sie denn über die Seitensprünge der Frau Urgroßmutter? Die hat doch sicher keinen Ariernachweis verlangt. Oder - sind Sie womöglich gar ein Abkömmling von jenem Kreuzritter Hartmann, der in Jerusalem in eine Weinfirma eingeheiratet hat?

Hartmann, sachlich So weit greift die Rassenforschung nicht zurück, Herr General.

Harras Muß sie aber! Muß sie! Wenn schon - denn schon! Denken Sie doch - was kann da nicht alles vorgekommen sein in einer alten Familie:

Vom Rhein - noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas! Ruhiger Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor - seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant - das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt - und - und der der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald und - ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein - das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf, Hartmann - und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost.

Quelle: Zuckmayer Lesebuch, S. Fischer Verlag 1976

<Seitenbeginn> <Zurück>