Aus dem Schatzkästlein meines Großvaters

Geschichten und Sagen zum Rhein

 

Vortrag zum Familientreffen am 12. Mai 2000

Als mein Großvater zum ersten Mal nach Bingen kam, so geschah dies mit Hilfe eines gefälschten Ausweises, heimlich, illegal, als Flüchtling. Aber im Laufe der Jahre wurde die Familie am Rhein heimisch. Aus seinem Nachlaß habe ich ein Buch geerbt, aus dem ich hier einige Auszüge bringe. Ich bitte, dies im Sinne der rheinischen Fröhlichkeit mit dem selben Humor zu verstehen, über den sicher mein Großvater bereits gelacht hat.

 

 

Wie ist der Wein hier an den Rhein gekommen?

Die Geschichte lehrt uns, daß es die Römer waren, nach der Legende waren es aber die ersten Christen. Legenden sind nun nicht beweisbar, aber oft voll tiefem Sinn, sind sie nicht wirklich, so sind sie doch war.

Nach der Legende war der heilige Theonest in Mainz seines Glaubens wegens zu Tode gemartert worden. Sein Leichnam wurde in eine Kufe mit gärenden Trauben geworfen, die dann mit einem Fußtritt in den Rhein gestoßen wurde. Nun war Theonest aber nicht tot und die Kufe trieb in den Wellen des Rheines. Die gärenden Trauben belebten den Heiligen, betäubten ihn aber auch, so daß er keine Schmerzen empfand. Er tat einen kräftigen Schluck, denn er war bibelfest: „er wird machen ein Mahl von reinem Wein“ sagt Jesaja, denn der Wein „des Menschen Herz erquickt“ (Psalm 104) und „mäßig getrunken Leib und Seele erfreut“ (Sirach 31). Der Wein reinigte auch sein Gewand (lt. 1 Mose 49) und kühlte und heilte seinen Leib: Lukas 10 erzählt vom Samariter, daß er die Wunden verband und Wein dareingoß. Der Heilige kam zu dem Schluß, daß Gott selber dieses Genesungswunder veranstaltet haben muß: Laut Johannes 15 ist ja Christus selbst der rechte Weinstock und Gott der Weingärtner. 

Und er nahm sich vor, dort, wo die Kufe landen würde, Wein zu bauen wie beschrieben im Buch der Könige: Pflanzet Weinberge und genießet ihre Früchte, dann werdet ihr sicher wohnen, ein jeglicher unter seinem Weinstock. Die Kufe landete und der Heilige nannte das Dorf als guter Lateiner nach der Kufe „cuba“, aber die weniger gebildeten Einheimischen machten daraus „Kaub“.

 

 

Wein und Religion

Anstelle des römischen Weingottes Bacchus wurde nun der heilige Urban als Weinheiliger verehrt. Die Legende kennt Urban als Märtyrer, die Geschichte behauptet, er sei am Zipperlein infolge des Weingenußes gestorben. Sicher ist, daß er die Anordnung getroffen hat, für das Abendmahl dürfe nur garantiert reiner Wein aus silbernen Kelchen getrunken werden. Bis ins letzte Jahrhundert wurden als Dank für ein gutes Weinjahr die Statuen des heiligen Urban mit Weinkrügen und Weingläsern behangen, aber wenn dies nicht der Fall war, dann wurde sein Abbild zur Strafe auch schon mal in die Jauchegrube geworfen … Die Verbindung der Kirche mit dem reinen Wein blieb, Klosterweine sind eine Qualitätsmarke. Schiller schrieb über die Kennzeichnung mit Ring und Stab auf der Etikette: „Ring und Stab! Oh seid mir auf Rheinweinflaschen willkommen. Denn wer die Schafe so tränket, der heißt mir ein Hirt!“

Ein weiterer Heiliger im Zusammenhang mit dem Wein ist der heilige Johannes. Der Apostel bekehrte eines Tages einen Heiden, als er einen Giftbecher ohne Schaden wie einen Becher reinen Weines lehrte.

Und daher gab man den Gläubigen und Kranken zur Kommunion oder vor dem Sterben einen Becher Wein, der dem heiligen Johannes geweiht war. Man trank also den Johannissegen bei vielen Gelegenheiten, und der Johannisberg im Rheingau ist der Name einer der besten Weinlagen der Gegend.

Schließlich mußte die Kirche allerdings den Johanniswein zu einer Gelegenheit verbieten: bei den Leichenzügen. Denn in den Weindörfern hielt das Trauergefolge mit dem Sarge vor jedem Haus, um mit Johanniswein traktiert zu werden, und wenn man auf dem Friedhof ankam, so war vielleicht nicht der Gestorbene, aber mancher der Leidtragenden seelig. 

Was die unliebsamen Folgen des Trinkens angeht – hier half ein Heiliger, der eigentlich ein Pestheiliger war: der heilige Rochus, Nothelfer gegen die Folgen der Pest waren ja derjenigen des Trinkens nicht unähnlich, und so wurde nach Urban und Theonest der heilige Rochus zum Weinheiligen.

Wein wurde oft von den Klöstern angebaut, und er wurde dort auch konsumiert – Kirchenvater Kyrill hatte erklärt: Keiner soll Priester werden, der den Wein nicht mag! Die Erzbischöfe von Mainz hielten sich auch daran, von Johann Philipp von Schönborn sagt man, daß er mäßig war und bei der Mittagstafel aus seinem Glas nie mehr als ein Schlückchen von drei Fingern Breite trank. Nachdem diese aber von zwölf bis sechs Uhr dauerte und nicht nur auf die Anwesenden, sondern auch auf die Abwesenden das Wohl ausgebracht wurde, „so hat Ihre Eminenz dennoch nie weniger als sechs Kannen getrunken, aber ohne aus seiner gelassenen Fassung zu kommen“.

Nun sollte vielleicht gesagt werden, daß es in der Gegend ja sehr viel Wein gibt und gab: „zuviel für die Messen, zuwenig um die Mühlen damit zu betreiben – also muß man ihn trinken“! Als der Kurfürst Joseph von Erthal die Universität Mainz stiftete und sie in zwei aufgelassenen Nonnenklöstern unterbrachte, fand man in den Klosterkellern für eine halbe Million Taler Wein – er wurde verkauft und reichte aus, um den ganzen Lehrbetrieb zu finanzieren.

Wein gab es auch in Frauenklöstern, denen wir eine Innovation verdanken, die wir bis heute benutzen: den Weinkrug ohne Deckel. Denn der Deckel diente dazu, damit in den verwanzten Stuben nicht etwa Ungeziefer in den Krug fiel. Das war aber bei den sauberen Nonnen nicht nötig.

 

 

Der Heilige Goar

Wir haben von drei Weinheiligen gehört, aber insgesamt sind es vier, es fehlt St. Goar. Dieser war bereits ein Heiliger, als er aus Frankreich um 570 an den Rhein kam, um die Heiden zu bekehren. Dazu brachte er ein Faß mit, welches sich niemals leerte, soviele Krüge man auch daraus trinken möge. Allerdings wurde nur an die ausgeschenkt, die sich vorher taufen ließen. Natürlich erregte das Aufsehen, und der Trierer Erzbischof Rusticus II. vermutete Unmäßigkeit und Unsittlichkeit und befahl den Heiligen nach Trier. 

St. Goar Voller Hochmut verweigerte er dem armen Mönch einen Haken, um sein Mäntelchen daran aufzuhängen, worauf es der Heilige kurzerhand an einen Sonnenstrahl hing. Der Erzbischof ließ aus dem nahen Nonnenkloster ein Findelkind holen, das man dort soeben aufgefunden hatte, und forderte Sankt Goar auf, ihm die Namen von des Findlings Eltern zu nennen – dann sei er frei.

Und Sankt Goar verlieh dem Säugling unter Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit die Gabe, zu gehen und zu sprechen, und der Kleine trat auf den Erzbischof zu und sagte mit klarer Stimme: „Du bist mein Vater, und die Nonne Afflaja ist meine Mutter“. Und das ist nicht unbedingt eine Legende, denn es ist geschichtlich erwiesen daß der Erzbischof sein Amt aufgrund seiner Beziehung zu dieser Nonne niederlegen mußte.

 

 

Die Pfalz bei Kaub

Einst gab es einen Konflikt zwischen dem Kaiser Barbarossa und dem Welfen Heinrich dem Löwen. Des Kaisers Nichte Agnes war die einzige Tochter des Pfalzgrafen und in den Welfen Heinrich den Schönen verliebt.

Aber dies durfte nun nicht sein und Agnes wurde unter Aufsicht ihrer Mutter in der Pfalz festgesetzt, übrigens ganz im Sinne des Welfenvaters.

Sein Sohn hatte nur wenig Familiendisziplin, war aber ein guter Schwimmer. Und während die Mutter sich in der kalten Burg mit dem Rheinwein etwas zuviel wärmte, brachte der zukünftige Schwiegersohn seine Werbung persönlich vor – die Aussöhnung zwischen Kaiser und Welfen wurde unumgänglich, und die Hochzeit wegen der etwas unbräutlichen Formen der Braut unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollzogen.

Der Ehe entsprossen kerngesunde Nachfahren, nun mußten die zukünftigen Pfalzgräfinnen aus Traditionsgründen ihre Niederkünfte in den kaltfeuchten Kämmerchen der Pfalzburg erwarten. Als aber später Ludwig der Bayer die Pfalz wieder in eine Zollfeste umbaute, da tat der Papst ihn in den Bann – man soll der Liebe eben nicht spotten.

 

 

Boppard

Eine Garnison wurde aber das Schloß Rheinfels bei Boppard, als die Gegend an Hessen-Kassel gekommen war. 

Boppard

Zweimal mußten die Soldaten in Aktion treten. Einmal innen- und einmal außenpolitisch. Innenpolitisch, als die schönen, aber energischen Frauen von Boppard eine Militärstreife verdroschen hatten, die trotz Verbot kurz vor der Lese die Weinberge betreten hatten – dreihundert Mann war die Strafexpedition stark, die aber in sehr friedlicher Weise endete. 

Außenpolitisch war es aber ernster, denn im siebenjährigen Krieg rückten die Franzosen heran. Das bemerkte aber niemand, denn die Offiziere gaben gerade einen Ball, und die Wachen benutzten das Weinfaß des heiligen Goar auf ganz unchristliche Weise.

Als der französische Kommandant im Ballsaal stand, bat der die Offiziere höflich, sich draußen entwaffnen zu lassen, rief zur Musik „weiterspielen“ und bat eine Dame zum Tanz. So fiel am 1. Dezember 1758 die uneinnehmbare Festung Rheinfels.

 

 

Schloß Johannisberg im Rheingau

„Wenn ich doch soviel Glauben in mir hätte, daß ich Berge versetzen könnte – 
den Johannisberg ließe ich mir überallhin nachkommen!“

Heinrich Heine

 

 

Quelle: Herrmann Mostar, Liebe, Klatsch und Weltgeschichte, Goverts Verlag Stuttgart 1969

<Seitenbeginn> <Zurück>