Unternehmenskultur:
Interkulturelle Übertragbarkeit
von Managementkonzepten

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Autor: Dr. Roland Rollberg

TU Dresden, Fakultät Wirtschaftswissenschaften Dresden

Mommsenstraße 13, D-01062 Dresden

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Mai 1999, Seite 66


Die Gesellschaftskultur eines Volkes ist eine entscheidende Determinante der in einem ausgewählten Land möglichen Unternehmenskulturen. Insofern darf die Zweckmäßigkeit in einem bestimmten Teil der Erde entwickelter Managementkonzepte nicht losgelöst von den dort gültigen kulturellen Rahmenbedingungen diskutiert werden. Sie können einer erfolgreichen Übertragung in Unternehmen anderer Kulturkreise entgegenstehen. Das muß aber nicht so sein: Denn genauso wie sich in einer Gesellschaftskultur unterschiedliche Unternehmenskulturen herausbilden können, kann eine spezifische Unternehmenskultur das Ergebnis verschiedener Gesellschaftskulturen sein - vorausgesetzt, sie sind „funktional-äquivalent".

Zumeist unbewußte Grundannahmen in den Köpfen der Mitarbeiter, zum Beispiel über das Wesen der Welt, des Menschen oder der Organisation, bilden die Basis der Unternehmenskultur. Sie schlagen sich in weniger abstrakten Werten und Normen (Ideologien, Denk-, Arbeitsweisen) nieder, die den Betriebsangehörigen in hohem Maß bewußt sind. An der Oberfläche ist die Unternehmenskultur in Symbolen (Architektur, Kleidung Firmenzeichen, betriebsspezifische Rituale oder Sprachregelungen) erfahr- und erlebbar. Symbole sind somit nur Symptome einer spezifischen Unternehmenskultur. Ihre Ursachen sind in den verborgen liegenden Grundannahmen zu suchen. Folglich kann die Unternehmenskultur nur durch Beeinflussung der kollektiven Annahmen grundlegend verändert werden. Doch die Betriebsführung vermag lediglich auf die Symbole einzuwirken, und bestenfalls indirekt über Rückkopplungen Grundannahmen, Werte und Normen zu beeinflussen.

Kann die Firmenleitung keinen unmittelbarer Einfluß auf die Grundannahmen der Belegschaft ausüben, dann ist die Gesellschaftskultur als zentrale Determinante der Unternehmenskultur zu betrachten (culture-bound-These). Der enge Zusammenhang zwischen betrieblicher und gesellschaftlicher Kultur rührt daher, daß jede Firma ständigen Kontakt mit ihrem gesellschaftlicher Umfeld, wie Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten, Konkurrenten oder der öffentlichen Verwaltung pflegt. Das bereits vor der Betriebszugehörigkeit von den Mitarbeitern übernommene Wertesystem der jeweiligen Gesellschaft wird beispielsweise in die Organisation hineingetragen und bestimmt fortan in entscheidendem Maße die Unternehmenskultur. Unternehmenskulturen entwickelt sich daher nur in Abhängigkeit von der jeweiliger Gesellschaftskultur. Diese läßt aber eine Vielzahl unterschiedlicher Unternehmenskulturen zu, solange deren betriebsspezifische Elemente auf ihrem Wertfundament beruhen. Der Culture-free These, die von einer Unabhängigkeit der Unternehmens- von der Gesellschaftskultur ausgeht, kann folglich nicht zugestimmt werden.

Hinsichtlich der interkulturellen Übertragbarkeit von Managementkonzepten haben sich in Analogie zur Culture-free- und Culture-bound-These die Globalisierungs- und die Kontingenzthese herausgebildet. Verfechter der Globalisierungsthese betrachten alle Managementkonzepte als kulturneutrale Konzepte, die unabhängig vom jeweiligen Kulturkreis Gültigkeit haben. Dagegen sind Vertreter der Kontingenzthese der Auffassung, daß der Erfolg derartiger Konzepte an kulturelle Rahmenbedingungen des jeweiligen Ursprungslandes geknüpft ist.

Beide Thesen vermögen mit ihrem Absolutheitsanspruch nicht zu überzeugen. Deshalb soll ihnen die differenziertere Äquivalenzthese gegenübergestellt werden. Sie besagt, daß die interkulturelle Transferierbarkeit von Managementkonzepten auch dann gewährleistet ist, wenn die Gesellschaftskulturen der betroffenen Länder zwar nicht identisch, wohl aber funktional-äquivalent sind. Das bedeutet, daß sich die Eigenheiten zweier Kulturkreise ruhig voneinander unterscheiden dürfen. Von ihnen muß aber die gleiche verhaltenssteuernde Wirkung auf die jeweilige Bevölkerung ausgehen. Ist dies der Fall, können sich in verschiedenen Kulturkreisen gleichartige Unternehmenskulturen entwickeln, die dann das Fundament für den erfolgreichen Einsatz einheitlicher Arbeitsmethoden bilden. Beleg hierfür ist unter anderem die für japanische Managementkonzepte erfolgskritische und auch in westlichen Unternehmen beobachtbare Bereitschaft der Arbeitskräfte zur Gruppenarbeit: Im kollektivistischen Japan wird sie durch gegenseitige Loyalität als konfuzianisches Ideal zwischenmenschlicher Beziehungen gestärkt, in der von Individualismus geprägten westlichen Hemisphäre dagegen durch unbefriedigte soziale Bedürfnisse. Als zweites Beispiel diene die verschwendungsfeindliche Philosophie japanischer Managementkonzepte: Sie resultiert aus dem Rohstoffmangel Japans und ist mit dem in westlichen Industrienationen zunehmenden ökologischen Bewußtsein für die globale Ressourcenknappheit kompatibel.

Da Grundannahmen, Werte und Normen zweier Kulturkreise wohl niemals absolut funktionaläquivalent sind, können fremdländische Managementkonzepte in der Regel nicht eins zu eins übertragen werden. Mehr oder weniger stark ausgeprägte Unterschiede verlangen stets nach einer adäquaten Modifikation der Konzepte.


Herausgeber:

Prof. Dr. Hermann Simon

Vorsitzender der Geschäftsführung

Simon, Kucher & Partners

Bonn, Wien, Paris, Cambridge/MA

(www.Simon-Kucher.com)